Obst und Gemüse mit Charakter
Seltene Schönheiten sind gut für Umwelt und Klima
Obst und Gemüse sind hierzulande die tragischen Spitzenreiter bei den Lebensmittelabfällen in privaten Haushalten. Doch bereits in der Landwirtschaft selbst gibt es enorme Verluste bei dieser Lebensmittelgruppe. Ein Grund dafür sind die hohen Anforderungen des Handels an das äußere Erscheinungsbild. Nur makellose Ware ist gewünscht, „unperfektes“ Obst und Gemüse schafft es oft nicht in die Regale. Das führt zu einer enormen Lebensmittelverschwendung. Um dieser entgegen zu wirken, sollte der Handel auf übertriebene Ansprüche an Größe, Einheitlichkeit und Aussehen verzichten. Darüber hinaus sollte die Klasse II zum Standard werden und der Verkaufspreis nach Gewicht anstelle eines Stückpreises festgelegt werden.
Schon jetzt können wir alle aktiv werden, indem wir bewusst vermeintlich unperfektes Obst und Gemüse kaufen – im Supermarkt, in Biomärkten, Hofläden und bei Anbietern entsprechender Gemüsekisten. Und wir können auf das Thema aufmerksam machen, durch Petitionen und Protestaktionen wie die „Schnippeldisko“.
Überzogene Ansprüche sorgen für Lebensmittelverschwendung
Obst und Gemüse bilden die Lebensmittelgruppe, die in privaten Haushalten am häufigsten weggeworfen wird. Doch bereits auf landwirtschaftlicher Ebene entstehen große Verluste, denn ein Teil der Ernte wird bereits auf dem Feld aussortiert. Untersuchungen in Deutschland kommen hier je nach Saison und betrachteter Sorte zu unterschiedlichen Werten, von etwa 10 bis hin zu 40 Prozent Verlust. Verantwortlich dafür sind unter anderem die hohen ästhetischen Ansprüche des Lebensmitteleinzelhandels.
Laut gesetzlicher Vorgaben der EU muss im Handel angebotenes Obst und Gemüse ganz, sauber und praktisch frei von Schädlingsbefall sein. So wird sichergestellt, dass die Lebensmittel gesundheitlich unbedenklich sind. Für die zehn umsatzstärksten Obst- und Gemüsearten (Äpfel, Birnen, Erdbeeren, Gemüsepaprika, Kiwi, Pfirsiche und Nektarinen, Salate, Tafeltrauben, Tomaten sowie Zitrusfrüchte) gelten darüber hinaus spezielle EU-Vermarktungsnormen. Diese fordern zum Beispiel auch eine Angabe der Klasse (Extra, I oder II), wobei für die Klasse Extra die höchsten Anforderungen gelten. Bei der Klasse II gibt es den größten Spielraum für Abweichungen vom vermeintlichen Ideal.
Handelskonzerne stellen häufig noch weitere Qualitätsanforderungen, die über die gesetzlichen Vorgaben hinausgehen. Zum Beispiel wird mit freiwilligen Klassenkennzeichnungen (UNECE-Normen) für weitere Obst- und Gemüsesorten gearbeitet oder es werden markteigene Anforderungen an die Ware der Erzeuger gestellt. Diese betreffen besonders das äußere Erscheinungsbild, also Größe, Form oder Farbe, sodass es häufig nur möglichst makelloses und einheitlich aussehendes Obst und Gemüse in die Supermarktregale schafft. Dabei sind „seltene Schönheiten“ wie eine krumme Gurke, eine zweibeinige Möhre oder ein Apfel mit Schorf genauso nahrhaft, lecker und gesundheitlich unbedenklich wie vermeintlich perfekte Exemplare.
Ein weiteres Problem liegt im Verkauf nach Stückpreis. Da Gemüsesorten wie Kohlrabi, Blumenkohl, Brokkoli und Eisbergsalat in der Regel nicht nach Gewicht verkauft werden, dürfen diese keine Größenunterschiede aufweisen. Zu kleine oder zu große Ware wird aussortiert.
Neben der enormen Lebensmittelverschwendung hat speziell der Wunsch nach makellosem Obst und Gemüse negative Folgen für die Umwelt. Denn dafür setzen Erzeuger oft zusätzliche Pflanzenschutz- und Düngemittel ein. Dies kann sich nachteilig auf die Artenvielfalt und die Gewässerqualität auswirken. Die Herstellung von künstlich hergestelltem Dünger ist sehr energieaufwendig. Viele wertvolle Ressourcen werden hierfür verbraucht und schädliche Treibhausgase ausgestoßen.
Marktcheck der Verbraucherzentralen
„Obst und Gemüse im Einzelhandel - Qualitätsanforderungen und Lebensmittelverschwendung“
Der bundesweite Marktcheck der Verbraucherzentralen „Obst und Gemüse im Einzelhandel" aus dem Jahr 2022 beweist: Im Handel wird meist nur das schönste Obst und Gemüse angeboten. Untersucht wurde das Angebot von Obst und Gemüse in 25 Supermärkten, Biohandelsmärkten und Discountern.
Zwei Beispiele: 79 Prozent des Apfelangebotes wurden in der Klasse I und 21 Prozent in Klasse II angeboten. Bei den Möhren waren 82 Prozent in Klasse I und 18 Prozent in Klasse II zu finden. Auffällig ist, dass in Bio-Märkten ausschließlich Äpfel und Möhren der Klasse II im Warenangebot waren.
Fazit: Hohe Anforderungen des Handels schränken den Handlungsspielraum von Erzeugern sowie Verbraucherinnen und Verbrauchern ein und tragen so zur Lebensmittelverschwendung bei.
Forderungen der Verbraucherzentralen
- Der Handel sollte sich auf die gesetzlichen Mindestanforderungen beschränken und auf eigene, darüberhinausgehende Ansprüche an Größe, Einheitlichkeit und Aussehen verzichten.
- Bei den zehn Obst- und Gemüsearten, für die eine Klassenkennzeichnung vorgeschrieben ist, sollte die Klasse II zum Standard werden.
- Aufgrund natürlicher Größenunterschiede sollte der Verkaufspreis nach Gewicht festgelegt werden.
- Gemüse wie Kohlrabi, Radieschen und Möhren sollten ohne Blätter angeboten werden.
5 Tipps: Das kannst du tun für mehr Vielfalt in den Obst- und Gemüseregalen
1. Tipp
Halte deine Augen im Supermarkt offen und wähle bewusst vermeintlich „unperfektes“ Obst und Gemüse. Einzelne Supermärkte haben bereits Aktionen zu dem Thema. Besonders in Biomärkten sind solche Lebensmittel häufig zu finden.
2. Tipp
Besuche Hofläden in deiner Umgebung, die ihre Ware direkt vermarkten. Auch hier kannst du seltene Schönheiten finden.
3. Tipp
Lass dir Gemüsekisten mit seltenen Schönheiten liefern. Nicht nur regionale Anbieter, sondern auch verschiedene Onlinehändler bieten Obst und Gemüse an, das nicht perfekt aussieht, aber dennoch lecker und gesund ist.
4. Tipp
Frage im Supermarkt gezielt nach unperfektem Obst und Gemüse – so wird der Handel zum Umdenken angeregt.
5. Tipp
Beteilige dich an Petitionen und Aktionen zum Thema “Unperfektes Obst und Gemüse“ wie z. B. einer Schnippeldisko.